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  • antidot antideutsch

    Lass uns noch schnell den Nahost-Konflikt lösen / Wir sind doch gerade in Dresden.

    Mit dieser ironischen Line bringt der Rapper Audio88 gleich zweierlei auf den Punkt:

    Erstens scheint es, seit es „den Nahostkonflikt“ gibt, kein wichtigeres, emotionaleres Diskussionsthema bei Parties oder Alltagsgesprächen zu geben als die Konflikte in der „Halbmondregion“ (Levante).

    Zweitens drückt sich in ‚unserem‘ Verhältnis zu „dem nahen Osten“, das wir haben, ein letztlich kolonialistisch-verfremdender, eurozentrischer Blick aus, für den es schließlich auch den „fernen Osten“ gibt.

    Ich möchte aber behaupten, dass dieser letztlich kolonialisierende-eurozentrische Blick für „beide Seiten“ dieser Diskussionen gilt, wenn er aus einer Perspektive kommt, die nicht-betroffen ist (von Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Entstaatlichung oder Verfolgung) und in deutscher Sprache stattfindet.

    Entweder wird mit dem vorgeschobenen Argument, angeblich Kritik nicht mehr ausreichend äußern zu dürfen aufgrund einer falschen Erinnerungspolitik in Bezug auf die deutsche Vergangenheit, dann doch Kritik an Israels Politik (und deutsches und westliches Zutun) geäußert.

    Oder es wird mit dem Verweis auf den möglichen antisemitischen Subtext einer solchen geäußerten Kritik sofort und gleichzeitig erinnerungs- und realpolitisch das Handeln Israels gerechtfertigt oder erklärt.

    Ich möchte darüber hinaus behaupten, dass die Art dieser Party- oder Universitätsbibliotheksdebatten (also noch einmal: von dezidiert Nichtbetroffenen) einer gewissen intellektuellen Tradition entstammt, Diskurs zu führen, die auch problematisch sein kann, weil sie Dinge am Ende komplizierter erscheinen lässt, als sie eigentlich sind, und außerdem den Sinn politischer Äußerungen verunklart. Im Internetsprech ausgedrückt: It’s not that deep.

    Und schließlich will ich über den in einigen Diskursen berühmt-berüchtigten Selbst- oder Fremdmarker „antideutsch“ nachdenken, vor allem in den jüngeren Debatten. Was bedeutet „antideutsch“ und wo kommt das her?

    Zwei Beispiele, um direkt den aktuellen schiefen und scharfen Debattenkontext aufzuzeigen:

    In einem Monat finden in New York die Bürgermeister_innenwahlen statt. Der New Yorker Bürgermeisterkandidat Zoran Mamdani kritisiert die Politik Israels im jüngsten Krieg scharf. Einige in Deutschland behaupten, dass solche klaren Töne hier ja fehlen würden. Kurz nach seinem Erfolg in den Vorwahlen wird er aber sofort stark kritisiert, weil seine Worte einigen nicht scharf genug sind. Je nach Perspektive gehört er also einer Seite der Debatte an, der man selbst auf jeden Fall nicht angehört.

    Das Gleiche gilt auch für Bernie Sanders, der als Zio-Nazi den einen, den anderen als Palli-Nazi gilt (Hauptsache: ein geschichtlicher Verweis auf den Nationalsozialismus ist inklusive).

    In der deutschsprachigen Debatte spiegelt sich diese Schieflage in den Debatten über und innerhalb der Partei der Linken wider.

    Hier kommen wir auch zur ersten von gleich vier absurden Verschwörungstheorien, die ich im Laufe dieses Textes erwähnen möchte. Heidi Reichinnek, die u.a. Nah-Oststudien in Halle studierte, soll dort „antideutsch“ beeinflusst worden sein. Deswegen sei sie in Interviews nicht so kritisch mit Israel, wie eigentlich angemessen.

    Eine Politikerin in sehr großer politischer Verantwortung in der Bundesrepublik Deutschland soll sich also nicht aufgrund ihrer aktuellen politischen Verantwortung und ihrer Meinung differenziert äußern, sondern wegen jahrelang zurückliegender Universitätsdebatten mit sozialwissenschaftlichen Möchtegernintellektuellen. Ist das eine wahrscheinliche Theorie?

    Auch zum Parteitag der Linken im Mai 2025 gab es eine Verschwörungstheorie: Antideutsche hätten den Diskurs unterwandert. Dabei ist die Chronologie nicht so kompliziert: Die Politikerin Ulrike Eifler hatte ein Bild gepostet, auf der das ganze jetzige Staatsgebiet Israels und der palästinensischen Autonomiegebiete den Staat Palästina bilden. Dass das weder eine angemessene Forderung nach dem 7. Oktober vor zwei Jahren noch eine realistische im Angesicht des jetzigen israelischen Angriffskriegs bildet, müsste doch jeder Person auffallen? Darauf gab es scharfe Antworten u.a. von Ines Schwerdtner, die zur Löschung des Tweets aufforderte. Und daraus wurde dann die Verschwörungstheorie: Absichtlich hätten „Antideutsche“ den Parteitag unterwandert. Statt also die Ergebnisse des Parteittags als Ergebnisse hitziger Debatten darzustellen von Menschen, die zu unterschiedlichen Schlüssen kommen und auf unterschiedliche Weise gleich-dumme Sachen dabei sagen, wird eine Absicht „der einen Seite“ unterstellt.

    Das alles macht umso weniger Sinn, weil im Laufe des Parteitags sogar Eiflers et al. Position eine Mehrheit bekam, sich der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitimus anzuschließen, also Kritik an Israel nicht vorschnell als antisemitisch zu erklären. Außerdem ist der vibe shift wegen der andauernden Unrechtstaten Israels im Krieg und auch wegen vieler Neu-Parteimitglieder schon lange im Gange, sodass „Antideutsche“ bereits aus der Partei ausgetreten sind (wie im berliner Landesverband geschehen). Dann immer noch sich gegen die angeblich starke Debattenposition der „Antideutschen“ zu wenden, einfach nur, weil einige Linken-Politikerinnen in Verantwortungsposition sich anscheinend zu differenzierten Äußerungen genötigt fühlen und das im Angesicht des Schreckens des Krieges vielen Menschen ohne politische Verantwortung scheinbar nicht mehr möglich erscheint, ist verschwörungstheoretisch.

    Es ist nicht so kompliziert: Ob Netanyahu ein Großisrael fordert oder Ulrike Eifler ein großes Palästina: Beides ist empörend. Doch nur eine Person wird international strafgerichtlich gesucht: Israels Verhalten ist empörend, weil eine rechtsextreme Regierung an der Macht Völkerrechtsverletzungen in einem Angriffskrieg begeht.

    Daraus folgt aber nicht, dass die Freiheit der gesamten Welt von der Freiheit Palästinas abhängt und jegliches politisches Äußern nur daran gemessen werden kann. Dieses Argument sah ich auf einem post einer (nichtbetroffenen!, weißen) Person.

    Daraus folgt nicht, dass, so die dritte Verschwörungstheorie, Israel den Publikumsvote des ESC 2025 manipuliert habe… (auch das sah man auf posts…wie wahrscheinlich ist diese Theorie?)

    Oder etwa: Dass Israel die Hamas unterwandert und den Anschlag provoziert habe, um den Krieg von Zaun zu brechen. (Die vierte Verschwörungstheorie – sie zeichnet sich wie alle solche Theorien dadurch aus, etwas komplizierter zu machen, als es eigentlich ist: Als würde eine rechtsextreme Regierung nicht reichen, um Schreckliches zu tun. Und als gäbe es auf der anderen Seite keinen politischen Islamismus.)

    In Israel regiert eine rechtsextreme Regierung. Und in Deutschland wirken rechte bis rechtsextreme Kräfte. Das ist ein Punkt, der oft übersehen wird. Und der sogar dazu führt, dass etwas als „antideutsch“ bezeichnet wird, das es eigentlich gar nicht ist…

    Ein drittes Beispiel, um das klar zu machen: Chefket wird nach Kritik von Weimer von Böhmermann ausgeladen. Er hat, wie Ulrike Eifler, die Einstaatenlösung für Palästina gefordert. Wolfram Weimer, unser unseliger Kulturstaatssekretär, hat das genau wie Böhmermann kritisiert. Aber gehören sie der gleichen „antideutschen“ Bewegung an? Natürlich nicht. Jan Böhmermann mag in dem Sinne ein antideutscher Linker sein, dass er antisemitismussensibel die Einstaatenlösung ablehnt und politische Kommunikation darüber, die sich gegen Israel als Staat (und nicht gegen die Regierung und ihre Unrechtstaten) richtet, keine Bühne geben will. Wolfram Weimer ist als konservativer, rechter Patriot aber mit Sicherheit nicht gegen Deutschland. Es wäre absolut absurd, diesen Patrioten als „antideutsch“ zu bezeichnen.

    Auch wenn in letzter Zeit (auch schon vor dem jüngsten Krieg) eine Allianz zwischen konservativen politischen Kräften, staatlichen oder staatsnahen Institutionen und „antideutscher“ Meinungsbildung in linken Medien entstand, wenn es galt, öffentlichen Personen keine Bühne bieten zu wollen, die sehr viel und unausgewogen Israelkritik betreiben, heißt das doch nicht, dass sie alle aus der gleichen Motivation heraus Menschen wie Judith Butler, Roger Waters, Achille Mbembe oder Nancy Fraser (oder jetzt Chefket) wieder ausladen oder Preise wieder aberkennen wollten. Es macht einen Unterschied, ob man das tut, weil man als rechte Person mit dem sicherheitspolitischen, kriegspositiven und islamfeindlichen Programm der rechtsextremen Regierung in Israel d’accord geht und deswegen die Ausladung linker, nicht nur Israel, sondern im Zweifel auch (wenn auch manchmal eigenartigerweise mit leiseren Tönen) Deutschland kritisierender Intellektueller unterstützt, oder ob man in der innerlinken Debatte Antisemitismus befürchtet und deswegen zu möglicherweise übertriebenen Mitteln greift. Meiner Meinung nach war nicht jeder Fall übertrieben, wobei in den Fällen, wo Rassismus und Islamophobie gegriffen haben, die den vielleicht noch halbwegs gerechtfertigten Kampf gegen Antisemitismus ungerechtfertigt werden lassen, das anders bewertet werden muss als bei Fällen wie Roger Waters, der selbst zum Boykott aufrufende privilegierte Künstler.

    Menschen, die in der Debatte besonders antisemitismussensibel sind oder waren und erinnerungspolitisch viel an die Shoah erinnert haben, sind außerdem nicht die gleichen Trägerkreise wie konservative Politker_innen, die in den letzten Jahren angefangen haben, Erinnerungspolitik zu benutzen, um sich in einem bestimmten Licht darstellen zu können. Also ist auch die Kritik, dass an nationalsozialistische Unrechtstaten in Deutschland viel erinnert wird, verfehlt, wenn sie davon ausgeht, dass diese Form der Erinnerungspolitik rechte Politik begünstige.

    Merz mag in Synagogen weinen, wie er will, trotzdem ist das genaue Gegenteil der Fall und man muss wirklich nicht lange in die Vergangenheit schauen, um zu sehen, wie unselbstverständlich überhaupt auch nur die Erinnerung an Opfer, nicht nur an Täter der Geschichte ist. Es ist ein Irrglaube, dem viele anhängen, dass Deutschland anders als andere Länder besonders gute Aufarbeitung gemacht habe, und erst auf Grundlage dieser Lüge kann man auf die Idee kommen, dass ein übertriebenes „Gedächtnistheater“ statt der eigentlich notwendigen „Gegenwartsbewältigung“ (Czollek) stattfinde. Stattdessen haben Lernprozesse in der Geschichte gegen den Widerstand der Mehrheitsgesellschaft stattgefunden.

    Es ist also ein Unterschied, ob man Friedrich Merz, der in der Gedenkstätte weint und Waffen liefert, kritisiert, oder Düzen Tekkal, die auf das Leid drusischer Menschen hinweist und trotzdem den Rassismus in Deutschland kritisiert.

    Und: Es ist auch ein Unterschied, wann man welche Position einnimmt. Ich verstehe nicht, warum das viele anders sehen, vielleicht liege ich ja auch völlig falsch. Aber ich finde tatsächlich total nachvollziehbar, dass Luisa Neubauer kurz nach dem 7. Oktober Angst vor Antisemitismus hatte und jetzt zwei Jahre später sich anders positioniert, weil das begangene Unrecht in Gaza ihre Angst überwiegt. Sie wird dafür stark kritisiert – aber macht der Zeitpunkt denn keinen Unterschied? Da kann auch noch so sehr eine smypathisch in einem Interview sie darauf hin befragen – in einem zugegebenermaßen genialen, aber dann am Ende des Tages doch nur auf vibes basierenden Interviewstil.

    Genauso sagt die Rapperin Nura nun, dass sie ja schon immer Recht gehabt habe und die Kritik von Böhmermann an sie im Oktober 2023 total falsch gewesen sei – sie hatte in einem Musikvideo ein free palestine gezeigt, kurz nach den Anschlägen und Angriffen der Hamas. Aber macht das nicht einen Unterschied, wann man politische Symbole auf welche Weise kommuniziert? Ich verstehe das wirklich nicht. Würde es nicht auch einen Unterschied machen, wenn eine andere Regierung regiert? Nicht in dem Sinne, dass dann kein Unrecht geschehe (genau wie unter Obama ja auch Zivilistinnen von den USA umgebracht worden sind), aber in dem Sinne, dass noch mehr Unrecht geschieht, wenn jemand wie Trump oder Netanyahu regiert?

    Aber was unterscheidet nun Weimer von Böhmermann, wenn am Ende des Tages zwei weiße Deutsche anderen verbieten wollen, über Israel zu reden, obwohl dort großes Unrecht geschieht? Ich finde, es unterscheidet sie ebenso viel wie Trump von Obama: Weimer hat ein Interesse an einer Allianz mit dem Staat Israel, weil es zu seinen politischen Positionen passt. Böhmermann hingegen möchte antisemitismussensibel und links sein. Und das ist in gewisser Weise der Kern dessen, das „antideutsch“ ausmacht.

    Man kann das verteufeln. Doch warum will man die Motivation hinter diesen Argumenten nicht mehr verstehen?

    In der Geschichte der linken Bewegung in Westdeutschland wurde sich gegen imperialistische Politik, womit Aufrüstung und Invasion gemeint war, gerichtet. Dabei galt die imperialistische Politik der Sowjetunion als weniger problematisch, da sie dennoch die Interessen der Arbeiterbewegung als sozialistische Staaten vertrete. Die imperialistische Politik der USA hingegen war nicht nur kriegerisch und in dem Sinne abzulehnen, sondern zugleich kapitalistisch. Die besitzende Klasse profitierte von der Kriegsrhetorik, weil Aufrüstung Schwer- und Großindustrie stärkt, zugleich aber Invasionen neue Märkte und neue Rohstoffe erschließen: Besonders im arabischen Raum liegen und lagen die Rohstoffschätze des Erdöls, das als effizienter Energierträger das Reicherwerden der Wenigen im wahrsten Sinne befeuerte wie nichts anderes.

    Israel als eigenständiger Staat, der die britische Kolonialherrschaft „Palästina“ abgelöst hatte, wurde nach dieser antiimperialistischen Logik genauso zu einem kapitalistischen Player. Gerade auch in der Zeit, in der es so aussah, als würde die panarabische sozialistische Bewegung fruchten und Islam und Sozialismus miteinander verbinden, war Israel Störfaktor arabischer und sozialistischer Revolutionen und Erfolge.

    Dadurch, dass die Sowjetunion realpolitisch Stellvertreterkriege gewinnen wollte, sozialistische Staaten innenpolitisch Antisemitismus verschweigen wollten, um ihre Systeme als überlegen darstellen zu können und schließlich erinnerungspolitisch kommunistische Opfer des Nationalsozialismus besonders betont werden sollten, während jüdische Opfer unterschlagen wurden (vor allem diejenigen, die dem stalinistischen Terror vor dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen waren oder nach dem Überleben des Nationalsozialismus dem Sozialismus in der Sowjetunion zum Opfer fielen) wurde der Staat Israel von linken Bewegungen viel kritisiert. Kombiniert wurde diese Kritik auch mit der antisemitischen Verschwörungstheorie, dass die Finanzmärkte der USA besonders von jüdischen Menschen gelenkt würden.

    Zugleich gab es in Deutschland die linke Position (die es logischerweise teilweise in allen linken Bewegungen gibt), dass das Konstrukt eines Staates grundsätzlich abzulehnen sei. Staaten und Grenzen seien zu überwinden. Statt wie die Sowjetunion den Staat als nötiges Vehikel der Machtergreifung der Arbeiterklasse zu verstehen, argumentiert die linke Idee, Staaten als Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismus abschaffen zu müssen, mit anarchistischen oder rätedemokratischen Motiven gegen Staatenkonstrukte überhaupt. Besonders die Kontinuität des Täterstaats Deutschland wurde in der deutschen linken Bewegung kritisiert: Die Möglichkeit der Umwertung der Werte (Hannah Arendt) bedeutet in dieser Logik, dass das System Rechtstaat selber übergriffig und unrechtmäßig ist. Wenn man nur einige Paragrafen ändern muss, und wenn gerade die besitzende Klasse kontinuierlich vor, während und nach dem Nationalsozialismus im Geheimen weiterherrscht, dann kann aus dem Nationalsozialismus nur gelernt werden, wenn Deutschland als solches überwunden wird. „Nie wieder Auschwitz“ gelte also erst in der Bedeutung: „Nie wieder Deutschland“. So wurde die „antideutsche“ Bewegung geboren. Diese progressive und radikale Argumentation entstammte natürlich einem universitären Milieu (zum Beispiel in der Nähe der sozialwissenschaftlichen Schule in Frankfurt bei Adorno und Horkheimer).

    Doch aus einer solchen Denkweise heraus wurde schnell klar, dass die Kritik an Israel aus dieser Logik heraus verfehlt ist. Einerseits, weil die antimperialistische Argumentation nicht konsequent antistaatlich ist, wenn sie nicht die Gefahr nationaler Befreiungsbewegungen in den arabischen Staaten oder der Interimslösung eines Einparteienstaates in der Sowjetunion klar benennt. Letztlich können auch Befreiungsbewegungen, die nationalistisch sind, in unrechtmäßige Bewegungen umschlagen, und auch die Sowjetunion verfolgte „nationalistische“ Interessen. Andererseits, weil sich in der Kritik an Israel selbst nationalistische, antisemitische Argumentationsmuster verstecken.

    Dieses letzte Argument haben nicht nur Adorno und Horkheimer vorgebracht, sondern vor allem Jean Améry. Auch er war ein jüdischer Shoahüberlebender. In einem Artikel, der 1969 in der ZEIT erschien, kritisierte er die Mehrheit der antimperialistischen linken Studierendenbewegung der 68er dahingehend, dass diese sich besonders auf Israel als Staat stürze. Ihre Kritik fände aber nicht in einem kontextlosen Raum statt. Warum kritisieren sie nicht genauso vehement andere Staaten (inklusive dem, in dem sie leben, nämlich Deutschland)? Améry sah in dieser Fixierung eine Form von Antisemitismus, der zwar nichts mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus gemein habe, aber sich hinter dem Antiimperialismus und dem Antizionismus verstecke. Der Artikel „Der ehrbare Antisemitismus. Die Barrikade vereint mit dem Spießerstammtisch gegen den Staat der Juden“ ist wie viele von Amérys Texten nicht nur einflussreich für das Denken, das man später antideutsch nennen sollte, sondern besonders streitbar.

    (Mehr zu Amérys provokantem Denken und abgefahrenem Leben werde ich in drei weiteren Texten, die bald in kurzer Folge auf dem Blog erscheinen, thematisieren.)

    Jean Améry machte sich aber dadurch keineswegs mit konservativen Denkweisen gemein, die die antiimperialistische Bewegung der Studierendenbewegung aus ganz anderen Gründen ablehnten. Und so geht auch heute eine hyperventilierende Debatte, in der „Antideutsche“ aus einem legitimen Unwohlsein bei der Art und Weise, wie über Israel und Jüd_innen geredet wird, aggressive Schaukämpfe machen, in denen es ein Erfolg ist, wenn eine befeindete Intellektuelle ausgeladen wird, oder in der im Gegensatz dazu der Boykott von SodaStream und der für sie werbenden Scarlett Johannsen zum revolutionistischen Freiheitskampf geriert, während einem außen- und wirtschaftspolitisch sonst nichts interessiert, an der Sache vorbei.

    Die Sache ist komplex (wegen der Geschichten und Traumata, wegen der Akteur_innen und Opfergruppen), sie ist aber keineswegs kompliziert. Vielleicht haben doch beide Seiten schuld, vielleicht sind doch Betroffenenperspektiven wichtiger als Nichtbetroffenenperspektiven, vielleicht kann man doch Konflikte und Kriege mit verworrenen und verletzenden Streitigkeiten im privaten Bereich vergleichen, vielleicht liegen viele Gründe auch in der Geopolitik oder der Wirtschaftspolitik, kurzum: vielleicht hat bei der imaginierten Dresdner Universitätsdebatte zum Nahostkonflikt doch die langweilige Naturwissenschaftsperson nach drei Bier recht und nicht die edgy Geisteswissenschaftsperson.

    Die antideutsche Bewegung war aber keine Verschwörung, die dafür da war, durch die Debatte, ob man Israelflaggen auf antinationalistischen Demos tragen darf, die linke Bewegung kaputtzumachen, sondern eher ein Antidot in Amérys Sinne gegen die versteckten Antisemtismen europäischen und deutschen Denkens.

    P.S.:

    1 absurdes Beispiel „antideutscher“ Ausladepolitik (ob sie wirklich antideutsch ist, ist eine andere Frage), muss ich hier noch unterbringen. Vor einem Jahr wurde Judith Scheytt der erst zugesprochene Grimmepreis doch nicht verliehen, weil ihre TikToks oder Reels Kritiker_innen zu unausgewogen und damit latent antisemitisch waren. Jetzt gerade (Oktober 2025) hat es dazu geführt, dass zwei Journalisten, nominiert in einer Arbeit über K.I., den Grimmepreis diesen Jahres aus Solidarität nicht annahmen. Es hat nicht gerade zur Validität der Kritik beigetragen, dass für den Nachweis des latenten Antisemitismus eine Studie mit schlechter K.I. erstellt wurde. Aber ironisch ist dieses Beispiel der K.I.-Nutzung, das bestimmt bald Schule macht, irgendwie schon.
    Der Wikipedia-Artikel dazu ist sehr ausgewogen, ausführlich und sehr zu empfehlen: https://de.wikipedia.org/wiki/Judith-Scheytt-Donnepp-Media-Award-Aff%C3%A4re


    1. Neuro-Enhancement / Smartphones

      Eine Film- oder Serienszene: Eine Person erhält auf dem Handy einen mysteriösen Anruf. Sie legt auf. Dann schaut sie sich panisch um, als würde sie die Person suchen, die sie gerade angerufen hat. Die Überraschung: Sie ist gar nicht in der Nähe.

      (gesehen z.B. bei der Serie Medusa – und in einigen Krimis)

      Das ist ein Beispiel für die Alokalität unserer mobilen Kommunikation, die Halt und Verwurzelung sucht, aber nicht finden kann.

      Ein anderes Beispiel sind nostalgische Tweets und Memes über den Desktop-Computer, der einen festen Ort in der Wohnung hatte und somit auch dem ortlosen Internet Lokalisierbarkeit verlieh. Er wurde aktiv an- und ausgeschaltet (genau wie das Internet selbst), Übergangsrituale, wie die Ankündigung, jetzt (für eine gewisse Zeit) an den Computer zu gehen, wie die Haptik des Schalters, wie das Geräusch der Lüftung integrierten das virtuelle Leben ins analoge, machten es greif- und dadurch kontrollierbar.

      Doch durch das Smartphone ist alles völlig anders geworden: Das, was in Black Mirror als Device an der Schläfe noch dystopisch imaginiert wird, haben wir längt in unserer dystopisch-utopischen Gegenwart: Ein elektronisches Gerät, das mit unserem Gehirn verschmilzt (und dabei unser Gehirn zerschmilzt): Wir haben Neuro Enhancement, den neuralen Link, die Mensch-Maschine.

      Indizien dafür sind die Möglichkeit von bedienungsloser Sprachsteuerung, die ununterbrochene Beschallung durch Bluetooth-Kopfhörer, die Konversationsfähigkeit von Chat GPT-App oder Vergleichbarem, der Zugriff und das Vertrauen auf die externe Wissensspeicherung in Notizen, Suchmaschinen und Wikipedia.

      Während Schlüssel und Portemonnaie unerlässliche Begleiter im ökonomischen und öffentlichen analogen Raum sind, um den eigenen Ort darin anzeigen und sichern zu können, erzeugt das Smartphone, das genauso immer mitgeführt (und dabei fast nie ausgeschaltet) wird, erst eine virtuelle persona – und zugleich den virtuellen Raum, in dem diese sich bewegt, obwohl man sich ja trotzdem immer noch zugleich in einem echten Raum bewegen muss (und dies dann deswegen nur auf die nötigen Gänge reduziert?). Der eine Raum wird mit dem anderen Raum erweitert (enhanced), zugleich aber auch überblendet.

      In dem Sinne sind wir Menschen mittlerweile auf einer anderen Stufe des Lebens angekommen (die zunächst einmal besser ist, nur zugleich lauter Probleme mit sich bringt).

      Die Erweiterung des Gehirns schafft neue Möglichkeiten. Leider verkümmert es auch, wenn es nicht ausreichend trainiert wird. Das Gehirn ist ein Muskel, und wir sollten fitness bros werden, um mit unseren Smartphones mithalten zu können. (naja…nicht wirklich…)

      Indizien, dass neuro enhancement schon Wirklichkeit geworden, auch wenn das Smartphone physisch noch getrennt vom menschlichen Körper bleibt, sind auch unsere Schwierigkeiten, modernes Leben dabei zu erzählen.

      Irgendein Schriftsteller oder Schrifstellerin wies mal in einem Interview daraufhin, dass ja Handlungen neuerdings so schwer zu erzählen seien, weil man ständig erreichbar ist, weil eben die Raum-Zeit nicht mehr so über uns bestimmt, wie sie nach den ehernen Gesetzen des Menschseins bzw. der Erzählungen darüber eigentlich müsste.

      Ein Beispiel, das ich noch im Kopf habe: Dana Vowinckel muss in dem sehr guten Roman Gewässer im Ziplock sehr umständlich erzählen, warum die Protagonistin ständig Ladekabel vergisst oder nicht weiß, wo ihr Handy ist – damit Spannung im Plot entstehen kann, und sie nicht z.B. einfach bei ihren Eltern anruft, um ein Problem zu lösen.

      Es muss nun neues ethisches Verhalten eingeübt werden, weil es um so viel geht: Das Nutzen von european alternatives; das Kontrollieren der App-Benutzungszeiten (dazu kann ich mich noch nicht durchringen), das Lesen von seriösen Zeitungen auf dem Handy statt Kostenlosjournalismus; das Befolgen von Smartphonekniggeregeln (wann ist es sozial in Ordnung, es zu benutzen), lieber googlen oder sogar direkt wikipediaen statt ein energiefressendes und parasoziales LLM zu befragen; den digitalen Raum so ordentlich halten, wie den analogen (ich schaffe beides nicht); das Befolgen von Gruppenchatkniggeregeln (wann ist es sozial in Ordnung, was reinzuschreiben); usw usf….


    2. serhij zhadan

      In der heutigen FAZ (https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2025-03-22/die-sprache-ist-staerker-als-die-angst/1145622.html) sagt Serhij Zhadan, ukrainischer Schriftsteller, der sich freiwillig (!?) nach dem russischen Angriff zur Armee gemeldet hat, folgendes:

      „Sprache hat immer etwas mit Glauben zu tun. Damit meine ich nicht den religiösen Aspekt, sondern die Fähigkeit, das Licht zu sehen selbst inmitten völliger Dunkelheit. Die Sprache hat sich tatsächlich als stärker erwiesen als Stress, Angst und Verzweiflung. Sie ist wie Gras, das sogar in einer Brandstätte wieder wächst.“

      Weiter sagt er über die Kriegstoten:

      „Jeder Tote ist ein erloschenes Universum, ein ausgebrannter Stern. Im Fall der toten Schriftsteller sind das unzählige ungeschriebene Texte, es ist eine ungeschriebene Bibliothek.“

      Und er schließt das Interview damit ab, dass der Krieg ihm jegliche Illusionen über das Menschsein abgenommen habe. Hoffnung geben ihm allein die ukrainischen Kinder.


    3. IQ-Tests (Rassismus, Sexismus, Schach, Statistik)

      Unsere Deutschlehrerin sagte immer: Wen kümmert der IQ, wenn der EQ, der emotionale Quotient, nicht stimmt?

      Tatsächlich: Wenn man Intelligenz nicht anwenden kann, nicht mit Mitmenschen sinnvoll kommunizieren kann, dann verpufft sie. Auf das ganze Leben gerechnet kann so die intelligenteste Person die allerdümmste werden, oder nur in zufälligen Systemen durch Gehorsam und Anpassungsdruck bestimmte Fähigkeiten weiterentwickeln, die als intelligent gelten, während andere verkümmern.

      Mit dem Intelligenzquotienten (IQ) wird ein ganz bestimmter Bereich gemessen: Welche Fragen gestellt werden, ist kulturell von Bildungsgewohnheiten abhängig. Es gibt verschiedene IQ-Tests. Zwar wird auf die Fähigkeit, sprachlich, bildhaft und mathematisch-logisch zu denken, abgezielt, doch die Art, wie die Fragen gestellt werden, bezieht sich natürlich auf schulische Bildung, sodass ein ohne Mitmenschen aufgewachsener Kaspar Hauser kaum eine Chance hätte.

      Außerdem ist die Messmethode statistisch und rekursiv: Das bedeutet, dass der Intelligenzquotient die Abweichung von einer Norm 100 misst, die wiederum durch die Tests ermittelt wird.

      Trotz dieser Einschränkung gibt es Menschen, die dem unsäglichen Mensaverein beitreten oder Das Drama des begabten Kindes von Alice Miller lesen und denken, dadurch ihre Lebensweisheit gefunden zu haben.

      Oder es gibt Menschen wie Younghoon Kim, der behauptete, der schlauste Mensch der Welt zu sein, mit einem IQ über 270. Dieser Wert wurde angezweifelt, mittlerweile darüber hinaus sogar die Existenz dieser Person, die von Elon Musk (der manchen auch als intelligent gilt) unterstützt auf Twitter zur Wahl der AfD aufrief.

      Eine so große Abweichung vom Mittelwert 100 zu haben, ist unfassbar schwierig, und unwahrscheinlich (anscheinend aber einigen Menschen nachgewiesenermaßen gelungen, die aber alle anders als Younghoon Kim nicht zur Wahl der AfD aufgerufen haben).

      Es ist schon eine absurde Wendung, wenn in der Debatte, in der gemeinhin mit der Dummheit von AfD-Wähler_innen der Rechtsextremismus bekämpft werden soll, nun eben dieser seine Schlauheit behauptet. Das zeigt, dass es grundsätzlich keine gute Strategie ist, wie der Rapper Finch oder Bela B. von den Ärzten über die Dummheit die Populist_innen bekämpfen zu wollen. Die Professorenpartei AfD war nie dumm. Wenn sie arme, ungebildete Menschen wählen sollten, weil sie sich nicht ernstgenommen fühlen oder den Anschluss an die komplex-komplizierte Welt verlieren, dann hilft es wohl nicht, sie darauf hinzuweisen, dass sie nicht schlau genug sind und den Anschluss nie finden werden. Auf der anderen Seite schützt intelligent zu sein weder vor falschen Argumenten (man kann auch auf hohem Niveau falsch liegen) oder vor gefährlichen Konsequenzen dieser, die anderen Menschen schaden.

      Es ist absolut kein Zufall, dass angebliche IQ-Test-Ergebnisse das Hauptargument sind, wie Neue Rechte biologischen Rassismus begründen wollen: Angeblich würden IQ-Test-Studien ergeben, dass wahlweise Menschen in „Afrika“ oder afroamerikanische Menschen oder Schwarze Menschen was-weiß-ich-wo durchschnittlich dümmer seien. Aus benannten Gründen macht das keinen Sinn: Die Fragen sind kultur- und bildungsabhängig, die Ergebnisse statistisch und rekursiv. Selbst wenn man das außer Acht lässt, werden Studien immer noch durchschnittliche Ergebnisse zeigen, die mit dem Bildungsniveau der befragten Menschen zusammenhängen. Unterdrückte, benachteiligte Milieus werden schlechtere Ergebnisse haben. Daraus zu schließen, dass es biologische Gründe gibt, die zur Unterdrückung und Benachteiligung dieser Milieus führen, ist nicht nur dadurch widerlegt, dass Menschen egal welcher behaupteten Herkunft, die unterdrückt und benachteiligt werden, ein schlechteres Bildungsniveau oder einen schlechteren IQ haben, sondern dreht darüber hinaus Folge und Wirkung von Ungerechtigkeiten um: Folge der Biologie sei die Ungerechtigkeit (ein nietzscheanisches, perfides Argument), statt Folge des Rassismus. Die Biologie macht sich sozusagen unbewusst die Ungerechtigkeit zunutze, um die natürliche Rangordnung herzustellen, so die Behauptung, nicht etwa soll Ungerechtigkeit mit biologistischen Argumenten gerechtfertigt werden. Komisch nur, mit welcher Gewalt und Anstrengung diese angebliche Biologie immer durchgesetzt werden muss. Nietzscheanisch müsste man argumentieren, dass es eben die Verschwörung derjenigen ist, die diese natürliche Rangordnung umdrehen (bei Nietzsche: das jüdische-christliche Erbe).

      Ein Beispiel für dieses wirklich oft verwendete Argument aus letztem Monat:

      Am 6. Februar 2025 postet „Frqnk“ (blauer Haken, natürlich) die scheinbar neutrale Frage, warum keine nennenswerten Erfindungen aus Afrika kämen. „Nightglow“ (blauer Haken) antwortet darauf: „Da ist nicht viel mit Erfindungen. Aus Gründen.“ Dazu verlinkt er laenderdaten.info mit dem unwissenschaftlichen und unsinnigen Vergleich von IQ nach Ländern. Auf der Website selbst wird weiter unten erklärt, das der westeuropäische IQ-Test eben nicht auf diese Weise angewendet werden kann (und noch komplizierter und bescheuerter wird es, wenn man sich fragt, wie genau (!) eigentlich das Studiendesign dazu aussehen sollen, zu so einer großen und komparativen Studie). Aber das wird Menschen wir Frqnk und Nightglow nicht interessieren.

      Ein weiteres Beispiel:

      Am 7. Februar 2025 postet der durch Elon-Musk-Twitter-Algorithmen geboostete rechtsextreme Account „Radio Genoa“ ein Video eines Schwarzen Mannes, der ein Google-Auto angreift. Der Text dazu:

      „He destroys Google’s machine to prove he’s a real man. What IQ will he have?“

      Auch für sexistische, misogyne Aussagen wird biologistisch argumentiert. Mir ist z.B. das Argument bekannt, dass „Frauen“ eher im mittleren Bereich der Verteilung des IQs liegen würden, während Männer in den Ausreißern stärker wären. Scheinbar versöhnlich: Die dümmsten und schlausten Menschen sind männlich. Dadurch kann man dann zugleich die beiden Enden der patriarchalen Parabel mit begründen: Dumme Männer sind für die männliche Gewalt verantwortlich, schlaue Männer für die männliche Macht.

      Diese urban legend ist natürlich Unsinn. Sie kehrt wieder Folge und Ursache um. Sie kann wieder nicht erklären, warum das Patriarchat, die doch so „natürliche Ordnung“, so vielen Veränderungen und Rechtfertigungsversuchen unterworfen ist.

      Ein Beispiel ist mir aus einem Interview der deutschen Schachspielerin und- streamerin Josefine Heinemann bekannt, die vor so etwa 2 Jahren damit erklärte, warum nach wie vor Frauen schlechter Schach spielen würden als Männer. Statt kulturell die Ursachen darin zu sehen, dass in der Ausbildung und in den Geschlechterrollen der Sport männlich dominiert wird, wird biologisch argumentiert: Echtes Genie ist meistens männlich.

      Tatsächlich ist der Männerüberhang im Schach empörend. So global wie dieser Sport ist, so patriarchal immer noch dieses Verhältnis (vielleicht weil patriarchales Denken die global verbreiteste Weltanschauung darstellt?). Verbunden ist diese Misogynie mit einer Vorstellung von „Genie“ und „Intelligenz“. Der beste Schachspieler der Welt, Magnus Carlsen, soll auch einen sehr hohen IQ haben. Doch gerade das Beispiel Schach zeigt, dass Intelligenz nicht nur kulturell von den Ausbildungsformen abhängig ist, die soziale Ungerechtigkeiten erzeugen können, die mit der „eigentlichen“ Intelligenz nichts zu tun haben, sondern auch ein eigenartiges Kriterium ist. Was bringt Magnus Carlsen seine Intelligenz, die er sein Leben lang für ein Spiel einsetzt? Sie hindert ihm zum Beispiel nicht daran, mit dem abgedrifteten US-Podcaster, Trumpisten und Muskisten Joe Rogan ein Interview zu machen oder Werbung für NFTs.

      Intelligenz bringt eben gar nichts, wenn man keinen hohen EQ hat. Bildung ist eine nie abgeschlossene Fähigkeit, die man mit einer Zahl beziffern könnte. Sie ist ein lebenslanger Prozess, deren Sinn in der Erkenntnis von Mit- und Umwelt liegt genauso wie in der Subjektwerdung des Menschen, der dadurch andere Dinge und sich selbst besser bestimmen kann. Bildung ist der lebenslange Prozess, nie die Neugier auf Schönes, Gutes und Krasses zu verlieren, und nie die Bereitschaft, sich selbst und die Welt zu ändern.


    4. Die Künstlichkeit unserer Intelligenz. (Menschen als K.I.)

      In der Aufklärungsdebatte betonte Immanuel Kant, wie wichtig es sei, die Vernunft zu begrenzen. Menschliches Denken kann gewisse Grenzen (v.a. Raum und Zeit) nicht überschreiten (siehe Kants Schrift Kritik der reinen Vernunft). Zugleich droht aber das Denken ständig zu denken, es könnte immer weiter kommen, sich dabei selbst übersteigen. Daraus entstehen haltlose Spekulation oder metaphysische Gebilde und Weltanschauungen, die man vor allem in religiösen oder ideologischen Ansichten findet (siehe Kants Schrift: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft). Zugleich können dadurch Gedanken entstehen, die zutiefst unmoralisch sind, weil sie der die Freiheit und das Gutsein begründenden Vernunft widersprechen (siehe Kants Schrift: Kritik der praktischen Vernunft).

      Was sind die Grenzen unserer Vernunft? Ich habe den Eindruck, dass Kants Erbe vergessen ist, aber es ist ja wirklich frustrierend, sich die Begrenztheit des Denkens einzustehen. In den religiösen Traditionen der Welt wurde berechtigterweise über Jahrhunderte versucht, die Begrenztheit des Seins anzunehmen und damit umzugehen. Immer wieder konnte das dann auch von Machthabenden benutzt werden, Menschen zu unterdrücken, indem die Begrenztheit zwar den Gläubigen gepredigt, sich selbst aber ein spezifisches Geheimwissen zugesprochen wurde, das göttlichen Charakter haben soll.

      In der K.I.-Debatte sehen wir, dass wir einen ganz und gar falschen Begriff von ‚Intelligenz‘ haben. Ich meine das in beide Argumentationsrichtungen.

      Oft gesagt und kritisiert wird bereits, dass doch die statistischen Sprachmodelle gar nicht wirklich intelligent seien, da sie nur ganz bestimmten Schemata folgen und die ‚allgemeine‘ Intelligenz viel mehr vermögen würde (als so genannte AGI im Gegensatz zu den bisher nur speziell eingesetzten). Das mag stimmen. Ich möchte dem nur ein kurzes Argument beifügen: Hier besteht das Problem vor allem darin, dass es an der menschlichen Interpretation liegt, ob etwas als intelligent wahrgenommen wird. Wie schon bei Turings Test ist es der Mensch, der entscheidet, dass etwas so intelligent ist, wie menschliche Intelligenz auf einen wirkt. Schon zwischenmenschlich täuschen wir uns Intelligenz vor. Es ist fast logisch, dass das einer Maschine nur allzu leicht gelingen kann.

      Doch auch die andere Argumentationsrichtung, die meines Wissens nach nicht so oft vertreten wird, ist mir wichtig: Nicht nur die künstliche Intelligenz ist nicht so intelligent, wie behauptet werden könnte, auch wir sind nicht so intelligent, wie wir denken. Der Unterschied zwischen der gar nicht so intelligenten, spezifischen Intelligenz, und unserer menschlichen, allgemeinen Intelligenz ist gar nicht so groß, wie wir gemeinhin denken.

      Unsere Intelligenz ist zwar vielfach größer als die aller uns bekannten Tiere (wenn auch nur graduell größer, nicht kategorial anders), doch die Geschwindigkeit von menschengemachten Computern ist unglaublich groß. In dem Sinne werden die Roboter, die wir einst erbauen werden, vielleicht nicht so unfassbar schlau sein, wie wir es uns erhoffen, aber wir sollten uns nie daran täuschen, dass wir selbst auch ziemlich enttäuschend dumm sind.

      Man kann dieses Argument sogar noch weiter zuspitzen: Wenn wir behaupten, dass die künstliche Intelligenz eben nur künstlich, nicht natürlich sei, könnte man sich fragen, inwieweit das nicht für Vernunft oder Intelligenz immer gilt.

      Der Technikphilosoph Joscha Bach hat dazu Thesen formuliert, die ich noch nicht gänzlich verstanden habe. Auf jeden Fall behauptet er, dass, so wie Software „auf“ der Hardware einer Maschine läuft, so auch unser Bewusstsein auf unserem biologischen Computer läuft. Der Modus, in dem Bewusstsein existiert, ist ein „Als ob“: Wenn eine (biologische oder mechanische) Maschine von sich selbst denkt, dass es ein Bewusstsein hätte, dann hat es Bewusstsein. Es gibt kein sicheres Mittel, festzustellen, ob Menschen, denen wir auf der Straße begegnen, wirklich ein Bewusstsein haben, oder nur so tun, als ob sie eines hätten. Es gibt auch für uns selbst kein sicheres Mittel, festzustellen, ob wir ein Bewusstsein hätten, oder ob wir nur so tun, als ob wir eins haben. In beiden Fällen denkt unser „Bewusstsein“, dass es existiert. Unsere Intelligenz ist künstlich.


    5. Ordnung / Unordnung

      Im Buch Wanderer zwischen den Welten. Was Vögel in Städten erzählen von Caroline Ring lese ich, dass Nachtigallen besonders gerne im wegen seiner Geschichte unordentlichen Berlin leben, und Amseln sich im nicht nachverdichteten Bamberg wohlfühlen.

      Wegen des vom Aussterben bedrohten Igels werden Menschen in Deutschland dringend aufgefordert, Gärten und Grünflächen doch bitte unordentlich zu lassen.

      Es hat etwas Absurdes, dass zur Unordnung aufgerufen wird. Das widerspricht doch menschlichen Impulsen!1!

      Der Technikphilosoph Joscha Bach sagte z.B. mal, dass menschliches Leben ein Kampf dafür sein, die Entropie aller Dinge aufzuhalten.

      Der Science-Fiction Roman Do Androids Dream Of Electric Sheep? (Vorlage für Blade Runner) beginnt u.a. mit einer Szene in einem der vielen verlassenen Wohngebäude, die sich selbst, so heißt es dort, der Entropie hingeben: Die Anhäufung der Gegenstände, der Maschinen, der Dinge wird im Laufe der Zeit chaotischer, die Menge des Staubs nimmt zu, am Ende ist nichts mehr voneinander zu unterscheiden.

      Man stelle sich nur vor: Die Staubsaugerroboter der Zukunft, die halb-depressiv, halb-verzweifelt versuchen, Müll rauszuschaffen, obwohl sie selbst zum Müll geworden sind, während ihre ordnungsschaffenden Gesetzgeber, die Menschen, längst verschwunden sind.

      (Der Roman beginnt auch damit, dass der Protagonist sich endlich seinen Wunsch erfüllen muss: Ein echtes Haustier. Er besitzt nur ein elektrisches Schaf. Um an ein echtes Haustier zu kommen, bringt er illegale Roboter um. Durch dem Turing-Test nachempfundene Empathie-Tests findet er heraus, welche Menschen nur so tun als ob. Ironischerweise sind die Menschen selbst emotional manipuliert durch Programme in ihrem Gehirn, durch Fernsehen und durch eine „Empathie-Religion“.)

      Tatsächlich gibt es immer mehr Müll, im wörtlichen wie übertragenen Sinne. Und so weiter die Moderne voranschreitet, umso mehr Müll ist da, zwangsläufig, einerseits, weil das Universum, andererseits, weil menschliche Tätigkeit die Entropie anstrebt. Das ist einfach so. Das menschliche Problem besteht dann vielmehr darin, diese Entropie gewaltsam einhegen zu wollen: In igel- und vogelfeindlichen Vorgärten, oder, in ultimo, in totalitären Ideologien.


    6. Queer von William Burroughs

      Das erste Mal in meinem Leben ging ich in folgender Reihenfolge vor:

      Erst las ich ein Buch etwa bis zur Hälfte, dann schaute ich den Film zum Buch, dann las ich zu Ende. Vielleicht die beste Methode? Im ewigen Streit, ob Buch oder Film besser sind, hilft es einfach, sich die Sachen gleichzeitig reinzuziehen…

      Tatsächlich ist im Fall von Queer von William S. Burroughs für mich nur schwer zu entscheiden, was besser ist: Film oder Buch. Beide sind gut. Beide unterscheidet vor allem das Ende. Doch fangen wir von vorne an, wie es sich gehört:

      Das Buch Queer wurde zu Zeiten geschrieben, als ‚queer‘ wie ‚gay‘ ein Schimpfwort, Homsexualität angeblich psychische Krankheit und die Beschreibung einer homosexuellen Beziehung zweier Männer in einem Roman undenkbar war: in den 1950ern. Das Buch wurde in den 1980ern veröffentlicht, als die Situation auch noch nicht wirklich besser war. Queer gehört also zur Geschichte der positiven Aneignung des ‚queer‘-Begriffes, der heute als Marker nicht nur homosexueller Männer, sondern einer ganzen Bewegung gilt.

      Das Buch ist autobiographisch. Burroughs veröffentlichte sein erstes unter dem Pseudonym (Lee), das hier der Protagonist trägt. Seine Homosexualität versteckte er in einer Ehe. Psychisch angeschlagen und drogensüchtig flüchtete das scheinbar heterosexuelle Paar Burroughs-Vollmer aus den USA, um den Strafverfolgungsbehörden aufgrund des Drogenmissbrauchs zu entkommen. In Mexiko geschah dann etwas unvorstellbar Tragisches: Im Rausch erschoss Burroughs seine Frau Vollmer, weil sie Wilhelm Tells berühmteste Szene nachspielen wollten. Schrecklich. Quelle: Wikipedia und sein Vorwort. Damals war eher die Homosexualität Cancelgrund als ein solcher, unfassbarer Vorfall (das muss man sich mal klar machen). Und mittlerweile trägt so etwas eher zu dem Mythos bei, irritierenderweise.

      Der Roman erzählt aber die Zeit nach diesem Unfall: Lee (lies: Burroughs) will eine neue Droge ausprobieren – Yage, bzw. Ayahuasca, die nicht in Mittelamerika, sondern nur im Süden, im Dschungel zu bekommen ist. Doch in Mexiko City trinkt sich der Protagonist zunächst durch den Tag und nimmt Opiate. Vorteil für ihn ist, dass hier nicht nur die Drogengesetze lascher sind, sondern es auch andere weniger interessiert, ob zwei Männer Hand in Hand durch die Straßen gehen. Die Stimmung ist von Anfang an fiebrig, auf positive Weise verwirrend, oder, von Oliver Harris im Vorwort anders ausgedrückt:

      „[Queer] is perplexing. It is unflinchingly personal but also coruscatingly political, a seemingly realist narrative that breaks into the wildest fantasies, with material in it of such undecided tone that it’s hard to know whether to howl with laugther or dismay.“

      Ausversehen verliebt sich Lee hoffnungslos in einen jüngeren Mann. Längere Zeit ist unklar, ob dieser wirklich ‚queer‘ ist, da er sich (wie zuvor Burroughs ja selbst) mit einer Frau blicken lässt. Lee bzw. Burroughs labert ihn voll, bis er mit seinem Flirten Erfolg hat. Doch Allerton bleibt zurückhaltend, nicht nur wegen der schambesetzten Homosexualität, sondern auch aufgrund seines nüchternen Charakters, was Lee nur umso mehr in den Liebeswahnsinn treibt. Der drogen, eifer- und lustsüchtige Lee erfährt nicht nur aufgrund seiner queerness, sondern auch aufgrund seiner Liebe, wie ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wird, wie er sich in die andere Person hineinträumt, sich dabei gar selbst entkörpert:

      In the dark theater Lee could feel his body pull toward Allerton, an amoeboid protplasmic projection, straining with a blind worm hunger to enter the other’s body, to breathe with his lungs, see with his exes, learn the feel of his viscera and genitals.“

      Diese Entkörperungsträume („I am not queer, I am disembodied“) und Transzendierungswünsche des eigenen Körpers in ein Anderes, die Welt, oder, hier spezieller, in Allerton hinein hängen auch mit dem Wunsch zusammen, mit Ayahuasca eine spirituelle Erfahrung zu machen.

      Doch im Roman selbst wird dieser ’spirituelle‘, letztlich kolonialsierend-exotisierende Wunsch schon einige Seiten vorher konterkariert, wenn Lee in einer seiner Redeschwälle von der sogenannten östlichen Weisheit und westlichen Erwartungen erzählt:

      „So we got like a holy man, and some b**** reporter comes to interview him. He sits there chewing on his betel nut. After a while, he says to one of his acolytes, ‚Go down to the Sacred Well and bring me a dipper of paregorix. I’m going to make with the wisdom of the East. […] So he drinks the P.G. ad goes into a light trance, and makes cosmic contact […] The reporter says, ‚Will there be war with Russia, Mahatma? Will Communism destroy the civilized world? Is the soul immortal? Does God exist?‘ The Mahatma opens his exes […] and says, ‚How the f*** should I know?‘ […] Come to think of it, that is the wisdom of the East. The Westerner thinks there is some secret he can discover. The East says, ‚How the f*** should I know?“

      Da muss man doch auch an heutige Südamerikatourist_innen aus dem ‚Westen‘ denken, die sich Antworten von den gefährlichen Drogen erhoffen.

      Der Roman endet antiklimaktisch. Ayahuasca wird nicht eingenommen, zwischen Lee und Allerton entsteht keine Beziehung. Das soll es gewesen sein?

      Der Film mit Daniel Craig in der Hauptrolle orientiert sich in der Grundstimmung nah an dem Buch. Er lässt aber glücklicherweise rassistisch zu Verstehendes und jegliche pädosexuellen Anklänge des Buches weg, wenn über mexikanische ‚Jungen‘ (boys) unangenehm geschrieben wird. Das disembodiment kann er genial darstellen. Und der Ayahuascatrip, der dem Roman fehlt, wird hier endlich dargestellt – als (leider viel zu kurze) Tanzperformance. Nirvanasongs und die grandiosen Atticus Ross und Trent Reznor komplettieren die Ästhetik.

      Das Ende des Films zeigt dann einen alternden Lee, der davon träumt, doch mit Allerton zusammengekommen zu sein – und somit wird die Unkörperlichkeit und Unmöglichkeit von Liebe auf eine viel zugespitztere Weise gezeigt, als das kurze und fahrige Buch es vermochte. Doch ohne die Absurdität dieser Literatur wäre ein solcher Film auch nie gemacht worden.

      Wie gut, dass Buch und Film ab jetzt gleichzeitig exisitieren.


    7. Remigration / Correctiv

      Ein Ereignis, an das ich lange nicht mehr gedacht habe: Vor 9 Jahren, 2016, ‚tortete‘ Jean Peters Beatrix von Storch. https://netzpolitik.org/2016/von-storch-postet-namen-und-bild-des-tortenwerfers-auf-facebook-auf-den-pranger-folgen-morddrohungen/

      Der Grund, dass ich daran denken musste: Christian Lindner wurde von einer Linken-Politikerin in Greifswald ‚getortet‘. So wiederholt sich die Geschichte dieses Protestmittels als unerfolgreiche Farce. Lindner reagierte souverän, wehrte sich, nutzte die Bilder. Gut für die FDP und ihren Wahlkampf, so muss man es leider sagen.

      Wir leben 2025 immer noch in der gleichen historischen Epoche. Man erkennt es aber auch daran, dass der historische Prozess des Aufstiegs von Rechtspopulismus und zugleich -extremismus weiter anhält. Da bringt dieses Jahr nichts Neues.

      Jean Peters, der Tortenwerfer auf Beatrix von Storch, arbeitet mittlerweile für correctiv. Vor einem Jahr, Anfang 2024, veröffentlichte er eine investigative Recherche zu dem geheimen Treffen von Rechtsextremen, u.a. von Martin Sellner, der auch schon seit vielen Jahren im Internet und offline als Rechtsextremer aktiv ist. In dieser Recherche deckte er auf, dass dieser ein neues Konzept vorstellte: Remigration. Aus Empörung darüber gab es dann die Anti-Rechts-Demos letzten Jahres, an denen ich auch teilnahm.

      Mir ist Sellner bekannt, seit er vor vielen Jahren online ‚berühmt‘ wurde, weil er eine an den Theorien Gramscis orientierte Strategie entwickelt, wie man medial erfolgreich Themen setzt und so langfristig die Macht ergreifen kann, hat man einmal die öffentliche Aufmerksamkeit und dann Meinung für sich gewonnen: In einer Wiedereroberung der Öffentlichkeit, in einer Reconquista, erlangt man Meinungshoheit und erreicht dadurch sein politisches Ziel schrittweise mithilfe von Tabubrüchen. Diese sind dabei in in Wirklichkeit gar keine. Sie sind noch harmloser als das eigentliche Ziel des revolutionären Systemumsturzes und der Verfolgung Andersdenkender und rassistisch Stigmatisierter. Gerade, weil auf die Tabubrüche reagiert wird, als wären sie nur ‚verbale‘ Entgleisungen, wird übersehen, dass der Wunsch nach diesem Systemumsturz sehr real ist. Seit vielen Jahren. So heißt dann Sellners 2023 bei Antaios erschienenes Buch folgerichtig: Regime Change – Systemwechsel von rechts.

      Diese Medienstrategie hat Erfolg. Durch die correctiv-Recherchen und die Antirechtsdemos gab es zwar Widerstand, doch mittlerweile konnte er bei Antaios ein neues Buch namens „Remigration“ veröffentlichen. Aberkennung von Staatsbürgerschaften und ‚Rückführungen‘ sind politische Ziele mittlerweile vieler Politiker_innen in Deutschland.

      Doch Jean Peters hört nicht auf, auch wenn er Zielscheibe von Rechtsextremen geworden ist. Dabei gibt er jegliche journalistische Neutralität auf, was m.M.n. aber nur dann Problem wird, wenn er pauschal andere Medien diskreditiert. Beeindruckend ist sein Vortrag über 1-Jahr correctiv-Recherche, den er als Eröffnung des Chaos-Communication-Congress des Chaos-Computer-Clubs in Hamburg hielt, den ich live erleben konnte und sehr empfehlen kann:

      https://media.ccc.de/v/38c3-correctiv-recherche-geheimplan-gegen-deutschland-1-jahr-danach

      Hier berichtet er über Recherchemethoden: Dadurch, dass die Serie Babylon Berlin in der gleichen Villa gedreht wurde, in der sich die Rechtsextremen inklusive Martin Sellner trafen, kam er an den Grundriss, dadurch, dass booking.com noch ein Zimmer offen hatte, obwohl das Haus eigentlich ausgebucht war, konnte er sich selbst einmieten. Im Vortrag sagt Peters unter viel Applaus, dass er nicht verraten würde, wie er an den Inhalt der Konferenz kam, wegen Quellenschutz. Da er vor Ort war, frage ich mich, ob er nicht einfach illegal abgehört hat, mit welcher Methode auch immer, und das dann logischerweise nicht erzählen kann.

      Nur 2 Wochen später war Jean Peters wieder in Hamburg, und ich war wieder da: Correctiv veranstaltete eine Journalismusshow, in der über die Recherchen berichtet und ein Dialog angestoßen wurde. Letzteres konnte aufgrund des erzwungenen Charakters m.M.n. nicht so recht gelingen. Ich fühlte mich an kirchliche Veranstaltungen erinnert, bei denen Menschen auch miteinander essen und über das eben Gehörte diskutieren sollen.

      Doch eine Grundforderung, die rechtsextremistische Bedrohung im Wahljahr sehr ernst zu nehmen und für das AfD-Verbot einzustehen, fand ich überzeugend. Zu viel Steuergeld finanziert schreckliche Menschen, wie nun neueste Recherchen belegen: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/12/27/kein-geheimtreffen-gegen-deutschland/

      Vor allem machte mir die Argumentation klar, dass wir mit dem Grundgesetz wirklich einen verfassungsrechtlichen Sonderfall haben, den wir zugunsten des Kampfes gegen Rechts nutzen sollten:

      Artikel 21:

      (2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

      (3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.