Eine Film- oder Serienszene: Eine Person erhält auf dem Handy einen mysteriösen Anruf. Sie legt auf. Dann schaut sie sich panisch um, als würde sie die Person suchen, die sie gerade angerufen hat. Die Überraschung: Sie ist gar nicht in der Nähe.
(gesehen z.B. bei der Serie Medusa – und in einigen Krimis)
Das ist ein Beispiel für die Alokalität unserer mobilen Kommunikation, die Halt und Verwurzelung sucht, aber nicht finden kann.
Ein anderes Beispiel sind nostalgische Tweets und Memes über den Desktop-Computer, der einen festen Ort in der Wohnung hatte und somit auch dem ortlosen Internet Lokalisierbarkeit verlieh. Er wurde aktiv an- und ausgeschaltet (genau wie das Internet selbst), Übergangsrituale, wie die Ankündigung, jetzt (für eine gewisse Zeit) an den Computer zu gehen, wie die Haptik des Schalters, wie das Geräusch der Lüftung integrierten das virtuelle Leben ins analoge, machten es greif- und dadurch kontrollierbar.
Doch durch das Smartphone ist alles völlig anders geworden: Das, was in Black Mirror als Device an der Schläfe noch dystopisch imaginiert wird, haben wir längt in unserer dystopisch-utopischen Gegenwart: Ein elektronisches Gerät, das mit unserem Gehirn verschmilzt (und dabei unser Gehirn zerschmilzt): Wir haben Neuro Enhancement, den neuralen Link, die Mensch-Maschine.
Indizien dafür sind die Möglichkeit von bedienungsloser Sprachsteuerung, die ununterbrochene Beschallung durch Bluetooth-Kopfhörer, die Konversationsfähigkeit von Chat GPT-App oder Vergleichbarem, der Zugriff und das Vertrauen auf die externe Wissensspeicherung in Notizen, Suchmaschinen und Wikipedia.
Während Schlüssel und Portemonnaie unerlässliche Begleiter im ökonomischen und öffentlichen analogen Raum sind, um den eigenen Ort darin anzeigen und sichern zu können, erzeugt das Smartphone, das genauso immer mitgeführt (und dabei fast nie ausgeschaltet) wird, erst eine virtuelle persona – und zugleich den virtuellen Raum, in dem diese sich bewegt, obwohl man sich ja trotzdem immer noch zugleich in einem echten Raum bewegen muss (und dies dann deswegen nur auf die nötigen Gänge reduziert?). Der eine Raum wird mit dem anderen Raum erweitert (enhanced), zugleich aber auch überblendet.
In dem Sinne sind wir Menschen mittlerweile auf einer anderen Stufe des Lebens angekommen (die zunächst einmal besser ist, nur zugleich lauter Probleme mit sich bringt).
Die Erweiterung des Gehirns schafft neue Möglichkeiten. Leider verkümmert es auch, wenn es nicht ausreichend trainiert wird. Das Gehirn ist ein Muskel, und wir sollten fitness bros werden, um mit unseren Smartphones mithalten zu können. (naja…nicht wirklich…)
Indizien, dass neuro enhancement schon Wirklichkeit geworden, auch wenn das Smartphone physisch noch getrennt vom menschlichen Körper bleibt, sind auch unsere Schwierigkeiten, modernes Leben dabei zu erzählen.
Irgendein Schriftsteller oder Schrifstellerin wies mal in einem Interview daraufhin, dass ja Handlungen neuerdings so schwer zu erzählen seien, weil man ständig erreichbar ist, weil eben die Raum-Zeit nicht mehr so über uns bestimmt, wie sie nach den ehernen Gesetzen des Menschseins bzw. der Erzählungen darüber eigentlich müsste.
Ein Beispiel, das ich noch im Kopf habe: Dana Vowinckel muss in dem sehr guten Roman Gewässer im Ziplock sehr umständlich erzählen, warum die Protagonistin ständig Ladekabel vergisst oder nicht weiß, wo ihr Handy ist – damit Spannung im Plot entstehen kann, und sie nicht z.B. einfach bei ihren Eltern anruft, um ein Problem zu lösen.
Es muss nun neues ethisches Verhalten eingeübt werden, weil es um so viel geht: Das Nutzen von european alternatives; das Kontrollieren der App-Benutzungszeiten (dazu kann ich mich noch nicht durchringen), das Lesen von seriösen Zeitungen auf dem Handy statt Kostenlosjournalismus; das Befolgen von Smartphonekniggeregeln (wann ist es sozial in Ordnung, es zu benutzen), lieber googlen oder sogar direkt wikipediaen statt ein energiefressendes und parasoziales LLM zu befragen; den digitalen Raum so ordentlich halten, wie den analogen (ich schaffe beides nicht); das Befolgen von Gruppenchatkniggeregeln (wann ist es sozial in Ordnung, was reinzuschreiben); usw usf….