laufende notizen aus büchern und zeitschriften, teilweise unchronologisch, viel theologie / kirche / religionsphilosophie
+++ april 2025 +++
FAZ Geisteswissenschaft (16.04.2025)
Thomas Wagner schreibt in seinem Tagungsberichte über Vorträge über den Versuch rechter Rückeroberung (Reconquista) der literarischen Welt. Laura Rogalski habe dort schlüssig dargelegt, dass Kritik am rechten YouTube-Format „Aufgeblättert, zugeschlagen“ von Ellen Kositza und Susanne Dagen meistens nicht verfängt: Dass sie sich in der Literaturkritik inszenieren, ist ja kein rechtes Proprium; dass sie nur Dummes behaupten würden, am Ende des Tages nicht mehr als eine Behauptung: „Das sich Linksliberale von vornherein für klüger hielten als ihre Kontrahenten, sei einfach der falsche Ansatz.“
Stimmen der Zeit (Oktober 2024):
Klaus Mertes argumentiert in Bezug auf die Abiturprüfung einer Schülerin, dass religionsgeschichtlich nach dem entwicklungspsychologischen Modell von Oser/Gmünder wir uns gerade nicht im Kinderglauben (Autoritäten bestimmen uns so wie Gott uns beherrscht (0-8) oder dann: wir können Autoritäten durch Verhandeln beeinflussen bzw. Gott (8-12)) sondern in der „Pubertät“ befinden: in einer deistischen Phase, in der Gott und Mensch voneinander getrennt sind wie Autoritäten und Jugendliche.
Was daran überzeugt, ist, dass das Entwicklungsmodell endlich mal nicht so verstanden wird, dass wir am ende der entwicklung stehen (im Erwachsenenalter, wo das religöse subjekt sowohl transzendenz als auch immanenz denken kann (nach einer zwischenstufe ab 16 dann ab 18 oder später)), nach wie vor aber krankt das Modell daran, dass davon ausgegangen wird, dass es ein gesundes gottesbewusstsein gäbe, und dass das irgendein ziel der menschheit wäre. da haben m.M.n. Mertes, die Schülerin und Oser/Gmünder Unrecht.
mir kommt vielmehr die säkularisierung als die logische konsequenz am Wahrscheinlichsten vor: religionen überzeugen nicht, leben wird als sinnlos erfahren. das kann nicht ‚geheilt‘ werden. Erwachsener Glaube ist Unglaube. (Erwachsensein ist nicht besser als Kindsein)
Deismus ist eben nicht das Gleiche wie Theismus wie Atheismus und kultureller durchschlagkräftiger als ein moderner Glaube nach dem Deismus ist immer noch der moderne Unglaube, einfach weil er logischer und sozusagen sinnvoller ist.
Damit sage ich nicht, dass es danach nicht eine „neue“ (alte?) Religion geben wird (wie ja z.B. Siegfried Kracauer oder Hans Jonas spekulierten), oder dass es nicht Religionen in einer Minderheitenposition geben wird, aber aus christlicher Perspektive ein „eigentliches“ Erwachsenwerden, ob schon geschehen oder zukünftig, zu behaupten, leuchtet mir nicht ein.
Genau das Thema des Ernstnehmens des Rückgangs von Religiosität stellt dafür der katholische Theologe Wolfgang Beck in seinem Aufsatz „Ökumene als Ressource“ viel ehrlicher da: Durch die sechste Kirchenmitgliedschaft sei doch mittlerweile erwiesen, dass alle überhaupt noch religiösen Menschen, auch Kirchen-/Glaubensgemeinschaftangehörige eine ‚Questreligiosität‘ hätten (ein Begriff aus den 70ern, den wohl z.B. Kees Struyker Bourdier oder Veronika Hoffmann ausgearbeitet haben), in der Zweifel „integraler Bestandteil“ des Glaubens sei und dadurch zugleich Wahrheitsfragen wie Unterschiede in Glaubensvorstellungen nivelliert würden. Die Ablehnung „unterkomplexer Wahrheitskonzepte“, die „positive Wertung des Zweifels“, die „vom Glauben motivierte Ethik“ und eine „Distanz zu religiösen Institutionen“ sind Aspekte der Questreligiosität, mit denen ich viel anfangen kann. Ob jetzt die ökumenischen Schlussfolgerungen, mit Reinhard Bingener und Thomas Jansen „ökumenische Nüchternheit“ zu fordern und mit Francois Jullien Ökumene als Ressource zu verstehen, die weder aus einer Position der Stärke Diskurse öffentlich bestimmen will (wobei das wohl kaum die Idee der ‚öffentlichen Theologie‘ war) noch sich auf die ‚echten Glaubenden‘ zurückziehen will, so hilfreich sind, weiß ich nicht. Aber sicherlich ist richtig, dass jeglicher Optimismus fehl am Platz ist und dass auch die ‚dritte Ökumene‘ eine witzige Idee, aber kaum eine sinnvolle Antwort auf die Säkularisierung darstellt.