IQ-Tests (Rassismus, Sexismus, Schach, Statistik)

Unsere Deutschlehrerin sagte immer: Wen kümmert der IQ, wenn der EQ, der emotionale Quotient, nicht stimmt?

Tatsächlich: Wenn man Intelligenz nicht anwenden kann, nicht mit Mitmenschen sinnvoll kommunizieren kann, dann verpufft sie. Auf das ganze Leben gerechnet kann so die intelligenteste Person die allerdümmste werden, oder nur in zufälligen Systemen durch Gehorsam und Anpassungsdruck bestimmte Fähigkeiten weiterentwickeln, die als intelligent gelten, während andere verkümmern.

Mit dem Intelligenzquotienten (IQ) wird ein ganz bestimmter Bereich gemessen: Welche Fragen gestellt werden, ist kulturell von Bildungsgewohnheiten abhängig. Es gibt verschiedene IQ-Tests. Zwar wird auf die Fähigkeit, sprachlich, bildhaft und mathematisch-logisch zu denken, abgezielt, doch die Art, wie die Fragen gestellt werden, bezieht sich natürlich auf schulische Bildung, sodass ein ohne Mitmenschen aufgewachsener Kaspar Hauser kaum eine Chance hätte.

Außerdem ist die Messmethode statistisch und rekursiv: Das bedeutet, dass der Intelligenzquotient die Abweichung von einer Norm 100 misst, die wiederum durch die Tests ermittelt wird.

Trotz dieser Einschränkung gibt es Menschen, die dem unsäglichen Mensaverein beitreten oder Das Drama des begabten Kindes von Alice Miller lesen und denken, dadurch ihre Lebensweisheit gefunden zu haben.

Oder es gibt Menschen wie Younghoon Kim, der behauptete, der schlauste Mensch der Welt zu sein, mit einem IQ über 270. Dieser Wert wurde angezweifelt, mittlerweile darüber hinaus sogar die Existenz dieser Person, die von Elon Musk (der manchen auch als intelligent gilt) unterstützt auf Twitter zur Wahl der AfD aufrief.

Eine so große Abweichung vom Mittelwert 100 zu haben, ist unfassbar schwierig, und unwahrscheinlich (anscheinend aber einigen Menschen nachgewiesenermaßen gelungen, die aber alle anders als Younghoon Kim nicht zur Wahl der AfD aufgerufen haben).

Es ist schon eine absurde Wendung, wenn in der Debatte, in der gemeinhin mit der Dummheit von AfD-Wähler_innen der Rechtsextremismus bekämpft werden soll, nun eben dieser seine Schlauheit behauptet. Das zeigt, dass es grundsätzlich keine gute Strategie ist, wie der Rapper Finch oder Bela B. von den Ärzten über die Dummheit die Populist_innen bekämpfen zu wollen. Die Professorenpartei AfD war nie dumm. Wenn sie arme, ungebildete Menschen wählen sollten, weil sie sich nicht ernstgenommen fühlen oder den Anschluss an die komplex-komplizierte Welt verlieren, dann hilft es wohl nicht, sie darauf hinzuweisen, dass sie nicht schlau genug sind und den Anschluss nie finden werden. Auf der anderen Seite schützt intelligent zu sein weder vor falschen Argumenten (man kann auch auf hohem Niveau falsch liegen) oder vor gefährlichen Konsequenzen dieser, die anderen Menschen schaden.

Es ist absolut kein Zufall, dass angebliche IQ-Test-Ergebnisse das Hauptargument sind, wie Neue Rechte biologischen Rassismus begründen wollen: Angeblich würden IQ-Test-Studien ergeben, dass wahlweise Menschen in „Afrika“ oder afroamerikanische Menschen oder Schwarze Menschen was-weiß-ich-wo durchschnittlich dümmer seien. Aus benannten Gründen macht das keinen Sinn: Die Fragen sind kultur- und bildungsabhängig, die Ergebnisse statistisch und rekursiv. Selbst wenn man das außer Acht lässt, werden Studien immer noch durchschnittliche Ergebnisse zeigen, die mit dem Bildungsniveau der befragten Menschen zusammenhängen. Unterdrückte, benachteiligte Milieus werden schlechtere Ergebnisse haben. Daraus zu schließen, dass es biologische Gründe gibt, die zur Unterdrückung und Benachteiligung dieser Milieus führen, ist nicht nur dadurch widerlegt, dass Menschen egal welcher behaupteten Herkunft, die unterdrückt und benachteiligt werden, ein schlechteres Bildungsniveau oder einen schlechteren IQ haben, sondern dreht darüber hinaus Folge und Wirkung von Ungerechtigkeiten um: Folge der Biologie sei die Ungerechtigkeit (ein nietzscheanisches, perfides Argument), statt Folge des Rassismus. Die Biologie macht sich sozusagen unbewusst die Ungerechtigkeit zunutze, um die natürliche Rangordnung herzustellen, so die Behauptung, nicht etwa soll Ungerechtigkeit mit biologistischen Argumenten gerechtfertigt werden. Komisch nur, mit welcher Gewalt und Anstrengung diese angebliche Biologie immer durchgesetzt werden muss. Nietzscheanisch müsste man argumentieren, dass es eben die Verschwörung derjenigen ist, die diese natürliche Rangordnung umdrehen (bei Nietzsche: das jüdische-christliche Erbe).

Ein Beispiel für dieses wirklich oft verwendete Argument aus letztem Monat:

Am 6. Februar 2025 postet „Frqnk“ (blauer Haken, natürlich) die scheinbar neutrale Frage, warum keine nennenswerten Erfindungen aus Afrika kämen. „Nightglow“ (blauer Haken) antwortet darauf: „Da ist nicht viel mit Erfindungen. Aus Gründen.“ Dazu verlinkt er laenderdaten.info mit dem unwissenschaftlichen und unsinnigen Vergleich von IQ nach Ländern. Auf der Website selbst wird weiter unten erklärt, das der westeuropäische IQ-Test eben nicht auf diese Weise angewendet werden kann (und noch komplizierter und bescheuerter wird es, wenn man sich fragt, wie genau (!) eigentlich das Studiendesign dazu aussehen sollen, zu so einer großen und komparativen Studie). Aber das wird Menschen wir Frqnk und Nightglow nicht interessieren.

Ein weiteres Beispiel:

Am 7. Februar 2025 postet der durch Elon-Musk-Twitter-Algorithmen geboostete rechtsextreme Account „Radio Genoa“ ein Video eines Schwarzen Mannes, der ein Google-Auto angreift. Der Text dazu:

„He destroys Google’s machine to prove he’s a real man. What IQ will he have?“

Auch für sexistische, misogyne Aussagen wird biologistisch argumentiert. Mir ist z.B. das Argument bekannt, dass „Frauen“ eher im mittleren Bereich der Verteilung des IQs liegen würden, während Männer in den Ausreißern stärker wären. Scheinbar versöhnlich: Die dümmsten und schlausten Menschen sind männlich. Dadurch kann man dann zugleich die beiden Enden der patriarchalen Parabel mit begründen: Dumme Männer sind für die männliche Gewalt verantwortlich, schlaue Männer für die männliche Macht.

Diese urban legend ist natürlich Unsinn. Sie kehrt wieder Folge und Ursache um. Sie kann wieder nicht erklären, warum das Patriarchat, die doch so „natürliche Ordnung“, so vielen Veränderungen und Rechtfertigungsversuchen unterworfen ist.

Ein Beispiel ist mir aus einem Interview der deutschen Schachspielerin und- streamerin Josefine Heinemann bekannt, die vor so etwa 2 Jahren damit erklärte, warum nach wie vor Frauen schlechter Schach spielen würden als Männer. Statt kulturell die Ursachen darin zu sehen, dass in der Ausbildung und in den Geschlechterrollen der Sport männlich dominiert wird, wird biologisch argumentiert: Echtes Genie ist meistens männlich.

Tatsächlich ist der Männerüberhang im Schach empörend. So global wie dieser Sport ist, so patriarchal immer noch dieses Verhältnis (vielleicht weil patriarchales Denken die global verbreiteste Weltanschauung darstellt?). Verbunden ist diese Misogynie mit einer Vorstellung von „Genie“ und „Intelligenz“. Der beste Schachspieler der Welt, Magnus Carlsen, soll auch einen sehr hohen IQ haben. Doch gerade das Beispiel Schach zeigt, dass Intelligenz nicht nur kulturell von den Ausbildungsformen abhängig ist, die soziale Ungerechtigkeiten erzeugen können, die mit der „eigentlichen“ Intelligenz nichts zu tun haben, sondern auch ein eigenartiges Kriterium ist. Was bringt Magnus Carlsen seine Intelligenz, die er sein Leben lang für ein Spiel einsetzt? Sie hindert ihm zum Beispiel nicht daran, mit dem abgedrifteten US-Podcaster, Trumpisten und Muskisten Joe Rogan ein Interview zu machen oder Werbung für NFTs.

Intelligenz bringt eben gar nichts, wenn man keinen hohen EQ hat. Bildung ist eine nie abgeschlossene Fähigkeit, die man mit einer Zahl beziffern könnte. Sie ist ein lebenslanger Prozess, deren Sinn in der Erkenntnis von Mit- und Umwelt liegt genauso wie in der Subjektwerdung des Menschen, der dadurch andere Dinge und sich selbst besser bestimmen kann. Bildung ist der lebenslange Prozess, nie die Neugier auf Schönes, Gutes und Krasses zu verlieren, und nie die Bereitschaft, sich selbst und die Welt zu ändern.