Queer von William Burroughs

Das erste Mal in meinem Leben ging ich in folgender Reihenfolge vor:

Erst las ich ein Buch etwa bis zur Hälfte, dann schaute ich den Film zum Buch, dann las ich zu Ende. Vielleicht die beste Methode? Im ewigen Streit, ob Buch oder Film besser sind, hilft es einfach, sich die Sachen gleichzeitig reinzuziehen…

Tatsächlich ist im Fall von Queer von William S. Burroughs für mich nur schwer zu entscheiden, was besser ist: Film oder Buch. Beide sind gut. Beide unterscheidet vor allem das Ende. Doch fangen wir von vorne an, wie es sich gehört:

Das Buch Queer wurde zu Zeiten geschrieben, als ‚queer‘ wie ‚gay‘ ein Schimpfwort, Homsexualität angeblich psychische Krankheit und die Beschreibung einer homosexuellen Beziehung zweier Männer in einem Roman undenkbar war: in den 1950ern. Das Buch wurde in den 1980ern veröffentlicht, als die Situation auch noch nicht wirklich besser war. Queer gehört also zur Geschichte der positiven Aneignung des ‚queer‘-Begriffes, der heute als Marker nicht nur homosexueller Männer, sondern einer ganzen Bewegung gilt.

Das Buch ist autobiographisch. Burroughs veröffentlichte sein erstes unter dem Pseudonym (Lee), das hier der Protagonist trägt. Seine Homosexualität versteckte er in einer Ehe. Psychisch angeschlagen und drogensüchtig flüchtete das scheinbar heterosexuelle Paar Burroughs-Vollmer aus den USA, um den Strafverfolgungsbehörden aufgrund des Drogenmissbrauchs zu entkommen. In Mexiko geschah dann etwas unvorstellbar Tragisches: Im Rausch erschoss Burroughs seine Frau Vollmer, weil sie Wilhelm Tells berühmteste Szene nachspielen wollten. Schrecklich. Quelle: Wikipedia und sein Vorwort. Damals war eher die Homosexualität Cancelgrund als ein solcher, unfassbarer Vorfall (das muss man sich mal klar machen). Und mittlerweile trägt so etwas eher zu dem Mythos bei, irritierenderweise.

Der Roman erzählt aber die Zeit nach diesem Unfall: Lee (lies: Burroughs) will eine neue Droge ausprobieren – Yage, bzw. Ayahuasca, die nicht in Mittelamerika, sondern nur im Süden, im Dschungel zu bekommen ist. Doch in Mexiko City trinkt sich der Protagonist zunächst durch den Tag und nimmt Opiate. Vorteil für ihn ist, dass hier nicht nur die Drogengesetze lascher sind, sondern es auch andere weniger interessiert, ob zwei Männer Hand in Hand durch die Straßen gehen. Die Stimmung ist von Anfang an fiebrig, auf positive Weise verwirrend, oder, von Oliver Harris im Vorwort anders ausgedrückt:

„[Queer] is perplexing. It is unflinchingly personal but also coruscatingly political, a seemingly realist narrative that breaks into the wildest fantasies, with material in it of such undecided tone that it’s hard to know whether to howl with laugther or dismay.“

Ausversehen verliebt sich Lee hoffnungslos in einen jüngeren Mann. Längere Zeit ist unklar, ob dieser wirklich ‚queer‘ ist, da er sich (wie zuvor Burroughs ja selbst) mit einer Frau blicken lässt. Lee bzw. Burroughs labert ihn voll, bis er mit seinem Flirten Erfolg hat. Doch Allerton bleibt zurückhaltend, nicht nur wegen der schambesetzten Homosexualität, sondern auch aufgrund seines nüchternen Charakters, was Lee nur umso mehr in den Liebeswahnsinn treibt. Der drogen, eifer- und lustsüchtige Lee erfährt nicht nur aufgrund seiner queerness, sondern auch aufgrund seiner Liebe, wie ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wird, wie er sich in die andere Person hineinträumt, sich dabei gar selbst entkörpert:

In the dark theater Lee could feel his body pull toward Allerton, an amoeboid protplasmic projection, straining with a blind worm hunger to enter the other’s body, to breathe with his lungs, see with his exes, learn the feel of his viscera and genitals.“

Diese Entkörperungsträume („I am not queer, I am disembodied“) und Transzendierungswünsche des eigenen Körpers in ein Anderes, die Welt, oder, hier spezieller, in Allerton hinein hängen auch mit dem Wunsch zusammen, mit Ayahuasca eine spirituelle Erfahrung zu machen.

Doch im Roman selbst wird dieser ’spirituelle‘, letztlich kolonialsierend-exotisierende Wunsch schon einige Seiten vorher konterkariert, wenn Lee in einer seiner Redeschwälle von der sogenannten östlichen Weisheit und westlichen Erwartungen erzählt:

„So we got like a holy man, and some b**** reporter comes to interview him. He sits there chewing on his betel nut. After a while, he says to one of his acolytes, ‚Go down to the Sacred Well and bring me a dipper of paregorix. I’m going to make with the wisdom of the East. […] So he drinks the P.G. ad goes into a light trance, and makes cosmic contact […] The reporter says, ‚Will there be war with Russia, Mahatma? Will Communism destroy the civilized world? Is the soul immortal? Does God exist?‘ The Mahatma opens his exes […] and says, ‚How the f*** should I know?‘ […] Come to think of it, that is the wisdom of the East. The Westerner thinks there is some secret he can discover. The East says, ‚How the f*** should I know?“

Da muss man doch auch an heutige Südamerikatourist_innen aus dem ‚Westen‘ denken, die sich Antworten von den gefährlichen Drogen erhoffen.

Der Roman endet antiklimaktisch. Ayahuasca wird nicht eingenommen, zwischen Lee und Allerton entsteht keine Beziehung. Das soll es gewesen sein?

Der Film mit Daniel Craig in der Hauptrolle orientiert sich in der Grundstimmung nah an dem Buch. Er lässt aber glücklicherweise rassistisch zu Verstehendes und jegliche pädosexuellen Anklänge des Buches weg, wenn über mexikanische ‚Jungen‘ (boys) unangenehm geschrieben wird. Das disembodiment kann er genial darstellen. Und der Ayahuascatrip, der dem Roman fehlt, wird hier endlich dargestellt – als (leider viel zu kurze) Tanzperformance. Nirvanasongs und die grandiosen Atticus Ross und Trent Reznor komplettieren die Ästhetik.

Das Ende des Films zeigt dann einen alternden Lee, der davon träumt, doch mit Allerton zusammengekommen zu sein – und somit wird die Unkörperlichkeit und Unmöglichkeit von Liebe auf eine viel zugespitztere Weise gezeigt, als das kurze und fahrige Buch es vermochte. Doch ohne die Absurdität dieser Literatur wäre ein solcher Film auch nie gemacht worden.

Wie gut, dass Buch und Film ab jetzt gleichzeitig exisitieren.