Remigration / Correctiv

Ein Ereignis, an das ich lange nicht mehr gedacht habe: Vor 9 Jahren, 2016, ‚tortete‘ Jean Peters Beatrix von Storch. https://netzpolitik.org/2016/von-storch-postet-namen-und-bild-des-tortenwerfers-auf-facebook-auf-den-pranger-folgen-morddrohungen/

Der Grund, dass ich daran denken musste: Christian Lindner wurde von einer Linken-Politikerin in Greifswald ‚getortet‘. So wiederholt sich die Geschichte dieses Protestmittels als unerfolgreiche Farce. Lindner reagierte souverän, wehrte sich, nutzte die Bilder. Gut für die FDP und ihren Wahlkampf, so muss man es leider sagen.

Wir leben 2025 immer noch in der gleichen historischen Epoche. Man erkennt es aber auch daran, dass der historische Prozess des Aufstiegs von Rechtspopulismus und zugleich -extremismus weiter anhält. Da bringt dieses Jahr nichts Neues.

Jean Peters, der Tortenwerfer auf Beatrix von Storch, arbeitet mittlerweile für correctiv. Vor einem Jahr, Anfang 2024, veröffentlichte er eine investigative Recherche zu dem geheimen Treffen von Rechtsextremen, u.a. von Martin Sellner, der auch schon seit vielen Jahren im Internet und offline als Rechtsextremer aktiv ist. In dieser Recherche deckte er auf, dass dieser ein neues Konzept vorstellte: Remigration. Aus Empörung darüber gab es dann die Anti-Rechts-Demos letzten Jahres, an denen ich auch teilnahm.

Mir ist Sellner bekannt, seit er vor vielen Jahren online ‚berühmt‘ wurde, weil er eine an den Theorien Gramscis orientierte Strategie entwickelt, wie man medial erfolgreich Themen setzt und so langfristig die Macht ergreifen kann, hat man einmal die öffentliche Aufmerksamkeit und dann Meinung für sich gewonnen: In einer Wiedereroberung der Öffentlichkeit, in einer Reconquista, erlangt man Meinungshoheit und erreicht dadurch sein politisches Ziel schrittweise mithilfe von Tabubrüchen. Diese sind dabei in in Wirklichkeit gar keine. Sie sind noch harmloser als das eigentliche Ziel des revolutionären Systemumsturzes und der Verfolgung Andersdenkender und rassistisch Stigmatisierter. Gerade, weil auf die Tabubrüche reagiert wird, als wären sie nur ‚verbale‘ Entgleisungen, wird übersehen, dass der Wunsch nach diesem Systemumsturz sehr real ist. Seit vielen Jahren. So heißt dann Sellners 2023 bei Antaios erschienenes Buch folgerichtig: Regime Change – Systemwechsel von rechts.

Diese Medienstrategie hat Erfolg. Durch die correctiv-Recherchen und die Antirechtsdemos gab es zwar Widerstand, doch mittlerweile konnte er bei Antaios ein neues Buch namens „Remigration“ veröffentlichen. Aberkennung von Staatsbürgerschaften und ‚Rückführungen‘ sind politische Ziele mittlerweile vieler Politiker_innen in Deutschland.

Doch Jean Peters hört nicht auf, auch wenn er Zielscheibe von Rechtsextremen geworden ist. Dabei gibt er jegliche journalistische Neutralität auf, was m.M.n. aber nur dann Problem wird, wenn er pauschal andere Medien diskreditiert. Beeindruckend ist sein Vortrag über 1-Jahr correctiv-Recherche, den er als Eröffnung des Chaos-Communication-Congress des Chaos-Computer-Clubs in Hamburg hielt, den ich live erleben konnte und sehr empfehlen kann:

https://media.ccc.de/v/38c3-correctiv-recherche-geheimplan-gegen-deutschland-1-jahr-danach

Hier berichtet er über Recherchemethoden: Dadurch, dass die Serie Babylon Berlin in der gleichen Villa gedreht wurde, in der sich die Rechtsextremen inklusive Martin Sellner trafen, kam er an den Grundriss, dadurch, dass booking.com noch ein Zimmer offen hatte, obwohl das Haus eigentlich ausgebucht war, konnte er sich selbst einmieten. Im Vortrag sagt Peters unter viel Applaus, dass er nicht verraten würde, wie er an den Inhalt der Konferenz kam, wegen Quellenschutz. Da er vor Ort war, frage ich mich, ob er nicht einfach illegal abgehört hat, mit welcher Methode auch immer, und das dann logischerweise nicht erzählen kann.

Nur 2 Wochen später war Jean Peters wieder in Hamburg, und ich war wieder da: Correctiv veranstaltete eine Journalismusshow, in der über die Recherchen berichtet und ein Dialog angestoßen wurde. Letzteres konnte aufgrund des erzwungenen Charakters m.M.n. nicht so recht gelingen. Ich fühlte mich an kirchliche Veranstaltungen erinnert, bei denen Menschen auch miteinander essen und über das eben Gehörte diskutieren sollen.

Doch eine Grundforderung, die rechtsextremistische Bedrohung im Wahljahr sehr ernst zu nehmen und für das AfD-Verbot einzustehen, fand ich überzeugend. Zu viel Steuergeld finanziert schreckliche Menschen, wie nun neueste Recherchen belegen: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/12/27/kein-geheimtreffen-gegen-deutschland/

Vor allem machte mir die Argumentation klar, dass wir mit dem Grundgesetz wirklich einen verfassungsrechtlichen Sonderfall haben, den wir zugunsten des Kampfes gegen Rechts nutzen sollten:

Artikel 21:

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.